Altdeutsches zum Grinsen

Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen trennen sich 2:2 in einem überaus unterhaltsamen Spiel, nach dem keine der beiden Seiten so recht weiß, ob sie sich über das Resultat freuen oder ärgern soll

AUS DORTMUNDULRICH HESSE-LICHTENBERGER

„Wir haben ein super Spiel gesehen!“, sagte der gut gelaunte junge Mann. Er strahlte in die Runde und fügte hinzu: „Mir ist so ein 2:2 lieber als ein doofes 0:0.“ An fast jedem Ort des Westfalenstadions hätte in diesem Moment – eine Stunde nach Ende des Bundesligaspiels zwischen Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen – jemand zustimmend gerülpst und ein weiteres Bier bestellt, um einen kurzweiligen Nachmittag zu begießen. Der junge Mann aber hatte soeben den Kabinentrakt verlassen, um mit Leuten zu reden, deren Beruf es ist, Fußballspiele zu analysieren. Und die waren sich nicht ganz sicher, ob seine Begeisterung angebracht schien.

Immerhin war Christian Wörns erst vor Wochenfrist dafür kritisiert worden, dass er als Verteidiger der deutschen Nationalelf seinen Job nur unzureichend versehen hatte – einen Job, von dem man sagen könnte, er besteht darin, für ein „doofes 0:0“ zu sorgen. Und nun waren schon wieder 90 Minuten vergangen, in denen seine Elf eigentlich ein halbes Dutzend Tore kassieren musste. Trotzdem nahm Wörns zum dritten Mal den Ausdruck „super“ in den Mund, und so langsam begannen die Umstehenden zurückzugrinsen, weil es nicht schien, als versuchte Wörns, Kritik im Keim zu ersticken. Er hatte offenbar tatsächlich Spaß gehabt.

Und warum auch nicht? Es gibt Tage, an denen man meckern muss, und solche, an denen man am besten nur grinst – und dies war einer der Letzteren. Zwischen der 24. und 37. Spielminute etwa konnte man gar nicht anders, als das Lexikon der Verbotenen Phrasen zu bemühen und den Terminus „Chancen im Minutentakt“ nachzuschlagen. Während dieser 840 Sekunden boten die beiden Mannschaften der atemberaubenden Kulisse von 81.500 Zuschauern nicht weniger als zwölf exzellente Torgelegenheiten. Zwei davon sorgten für eine 2:0-Führung der Gastgeber, und wer auch immer das Ganze dramaturgisch inszeniert hatte, verdient Respekt. Zum einen erzielte beide Treffer der erst 19-jährige Amateur Salvatore Gambino, der das Training am Donnerstag noch verpasst hatte, weil er zur Schule musste. Zum anderen fielen sie für das Team, das hoffnungslos überfordert war: Neun jener zwölf Chancen hatte nämlich Leverkusen gehabt.

„Ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder ärgern soll“, sagte Bayers Trainer Klaus Augenthaler deshalb anschließend, obwohl seine Elf noch einen Punkt gerettet hatte, obwohl seinem Team der Ausgleich nach Platzverweis für Placente in Unterzahl gelungen war, obwohl die Dortmunder bei drei gefährlichen Kontern das 3:1 jeweils spektakulär vergeben hatten.

Auch Leverkusens Bernd Schneider konnte nicht so recht erklären, warum seine Elf 0:2 in Rückstand geraten war, als sie 2:0 führen musste. „So ist Fußball. Manchmal macht man die Chancen eben nicht rein“, bot er an, um dann hinzuzufügen: „Dann gewinnt auch ein Kleiner mal gegen ein Großen im Pokal.“ Der Nachsatz war nicht so deplatziert, wie er scheint, denn manchmal erinnerte der BVB an diesem Tag in der Tat an eine Heimelf, die einen höherklassigen, technisch und taktisch weit überlegenen Gegner zu Gast hat. Obwohl die Borussia so tief stand, als gelte es, sich in ein Elfmeterschießen zu retten, kam Bayer Mal um Mal problemlos in das letzte Viertel des Feldes.

„Leverkusen hatte die bessere Spielanlage“, lobte BVB-Coach Matthias Sammer später den Gegner, bei denen allein Juan als Verteidiger auszumachen war, während alle anderen rochierten und über den Rasen flogen, dass einem der Atem stockte. „Aber“, fügte Sammer grollend an, „wenn wir wegen unserer begrenzten Möglichkeiten schon etwas altdeutsch spielen, dann müssen wir wenigstens läuferisch alles geben.“ Altdeutsch meinte das rigide, antiquierte Positionsspiel des BVB, läuferisch bezog sich darauf, dass sowohl die defensiven Mittelfeldleute der Dortmunder als auch die Außen dem Gegner meistens bloß hinterdreinschlenderten.

Doch, um es mit Schneider und Wörns zu sagen, so ist Fußball: Gerade wegen dieser Unzulänglichkeiten war es ein super Spiel. Und da darf man einfach auch nur mal genießen. So wie Wörns, der sich nach seiner Analyse gemeinsam mit Ulf Kirsten vor einen Fernseher stellte, um die Tore der anderen Spiele zu sehen. Der Leverkusener und der Dortmunder beobachteten, wie die jeweiligen Rivalen aus Köln und Schalke in torarmen, drögen Partien verloren. Und da grinsten sie schon wieder.

Borussia Dortmund: Weidenfeller - Fernandez, Wörns, Malte Metzelder, Jensen - Ricken, Reuter, Conceicao, Rosicky (82. Odonkor) - Koller, GambinoBayer Leverkusen: Butt - Juan, Lucio, Nowotny (71. Balitsch), Placente - Ramelow (63. Babic) - Schneider, Bierofka, Ponte - Neuville, Franca (82. Lucic)Zuschauer: 81.500; Tore: 1:0 Gambino (29.), 2:0 Gambino (32.), 2:1 Neuville (35.), 2:2 Babic (78.)Gelb-Rote Karte: Placente (74.)